Russell - Textausschnitte

Kritik am Finalitätsbeweis

[…] Jetzt erkennen wir, dass sehr vieles, was wir für ein Naturgesetz gehalten haben, in Wahrheit menschliches Übereinkommen ist. Sie wissen, dass noch in den entferntesten Tiefen des Weltraums ein Meter hundert Zentimeter hat. Das ist zweifellos eine bemerkenswerte Tatsache, aber man würde es kaum ein Naturgesetz nennen. Vieles, was für ein Naturgesetz gehalten wird, ist von dieser Art.

Andererseits muss man, soweit man überhaupt in das wirkliche Verhalten von Atomen Einblick gewinnen kann, feststellen, dass sie viel weniger einem Gesetz unterworfen sind, als angenommen wurde, und dass die Gesetze, auf die man schließlich kommt, statistische Durchschnittswerte genau der gleichen Art sind, wie sie sich aus dem Zufall ergeben. […]

Menschliche Gesetze schreiben uns ein bestimmtes Verhalten vor, und wir können sie befolgen oder nicht; aber die Naturgesetze beschreiben das tatsächliche Verhalten der Dinge, und daher kann man nicht einwenden, dass es einen geben muss, der es ihnen vorschreibt; denn selbst angenommen, es gäbe einen, so drängt sich die Frage auf: "Warum hat Gott gerade diese Naturgesetze erlassen und keine andern?" Wenn Sie sagen, er tat es ohne jeglichen Grund, weil es ihm so gefiel, so müssen Sie zugeben, dass es etwas gibt, das dem Gesetz nicht unterworfen ist, und Ihre Kette von Naturgesetzen wird unterbrochen.

Wenn Sie wie die orthodoxeren Theologen sagen, Gott habe bei all seinen Gesetzen einen Grund gehabt, gerade diese Gesetze zu erlassen und keine andern - wobei natürlich der Grund der ist, dass er das beste Universum erschaffen wollte, obwohl man das bei näherer Betrachtung nie annehmen würde -‚ wenn es also einen Grund für Gottes Gesetz gab, so war Gott selbst Gesetzen unterworfen, und es bietet Ihnen keinen Vorteil, Gott als Zwischenglied einzuschalten. Sie haben dann nämlich ein Gesetz außerhalb und vor dem göttlichen Gesetz, und Gott entspricht nicht Ihrem Zweck, da er nicht der letzte Gesetzgeber ist. Kurz, dieser ganze Streit über das Naturgesetz hat bei weitem nicht mehr das Gewicht, das er früher hatte.

Kritik am teleologischen Gottesbeweis

Nicht die Umwelt wurde so geschaffen, dass sie für die Lebewesen geeignet war, sondern die Lebewesen entwickelten sich so, dass sie für die Umwelt geeignet wurden. Das ist die Grundlage der Anpassung, und es ist keinerlei Absicht dabei erkennbar.

Wenn man das teleologische Argument näher betrachtet, ist es höchst erstaunlich, dass Menschen glauben können, diese Welt mit allem, was sich darin befindet, und mit all ihren Fehlern sei das Beste, was Allmacht und Allwissenheit in Millionen von Jahren erschaffen konnten. Ich kann das wirklich nicht glauben. Meinen Sie, wenn Ihnen Allmacht und Allwissenheit und dazu Jahrmillionen gegeben wären, um Ihre Welt zu vervollkommnen, dass Sie dann nichts Besseres als den Ku-Klux-Klan oder die Faschisten hervorbringen könnten?

Wenn man die gewöhnlichen Gesetze der Wissenschaft gelten lässt, so muss man überdies annehmen, dass auf diesem Planeten das menschliche Leben und das Leben überhaupt zu einem gewissen Zeitpunkt aussterben werden: es ist nur ein Übergangsstadium im Verfall des Sonnensystems. In einem bestimmten Verfallsstadium ergeben sich jene Temperaturbedingungen und anderes, was dem Protoplasma zuträglich ist, und für eine kurze Periode in der Dauer des gesamten Sonnensystems gibt es Leben. Der Mond führt uns vor Augen, worauf die Erde zusteuert: auf etwas Totes, Kaltes und Lebloses. Eine solche Ansicht sei deprimierend, sagt man mir, und manche behaupten, sie könnten nicht weiterleben, wenn sie daran glaubten.

Russells Teekanne

Viele Orthodoxe tun so, als ob es Aufgabe der Skeptiker wäre, die vorgegebenen Dogmen zu widerlegen, anstatt die der Dogmatiker, sie zu beweisen. Das ist natürlich ein Fehler. Wenn ich behaupten würde, dass es zwischen Erde und Mars eine Teekanne aus Porzellan gäbe, die auf einer elliptischen Bahn um die Sonne kreise, so könnte niemand meine Behauptung widerlegen, vorausgesetzt, ich würde vorsichtshalber hinzufügen, dass diese Kanne zu klein sei, um selbst von unseren leistungsfähigsten Teleskopen entdeckt werden zu können. Aber wenn ich nun daherginge und sagte, da meine Behauptung nicht zu widerlegen sei, sei es eine unerträgliche Anmaßung menschlicher Vernunft, diese anzuzweifeln, dann könnte man zu Recht annehmen, ich würde Unsinn erzählen. Wenn jedoch in antiken Büchern die Existenz einer solchen Teekanne bekräftigt würde, dies jeden Sonntag als heilige Wahrheit gelehrt und in die Köpfe der Kinder in der Schule eingeimpft würde, dann würde das Anzweifeln ihrer Existenz zu einem Zeichen von Normverletzung werden. Es würde dem Zweifler in einem aufgeklärten Zeitalter die Aufmerksamkeit eines Psychiaters oder, in einem früheren Zeitalter, die Aufmerksamkeit eines Inquisitors einbringen.

Quelle: https://www.atheisten-info.at/downloads/russell.pdf

Der gesamte Essay befindet sich zudem hier.

Castellio - gemeinfreie Werke frei verfügbar
Stefan Zweigs Werke

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